COVID 19: Die größte Herausforderung ist der Hunger

Einblicke in die Coronakrise weltweit – Projektereferent/innen der Dreikönigsaktion geben einen Überblick über die Auswirkungen der aktuellen Krise. von Katharina Kaineder

Durch die aktuelle Coronakrise hat sich die Situation vieler Menschen im Globalen Süden drastisch verändert und mit ihr auch die Arbeit der Partnerorganisationen der Dreikönigsaktion. In vielen Ländern ist die größte Herausforderung mitunter nicht das Coronavirus, sondern die Suche nach ausreichend Lebensmitteln, um zu überleben. Im Beitrag erzählen Eva Wallensteiner, Clemens Koblbauer und Maria Pawelka von den aktuellen Herausforderungen in den Projektländern der Dreikönigsaktion und den Auswirkungen auf die Partnerorganisationen.

„Nebenwirkungen“ des Virus: von einem Tag auf den anderen auf Lebensmittelpakete angewiesen. Foto: Sewa Kendra Silchar

Indien. In Indien leben 1,3 Milliarden Menschen, die sich am 24. März sehr plötzlich mit einem der strengsten Lockdowns der Welt konfrontiert sahen, ohne Plan, ohne abfedernde Maßnahmen. Geschäfte, Schulen und Firmen wurde geschlossen und es fuhren keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Busse und Züge wurden eingestellt, selbst die Ernte durfte nicht eingefahren werden. Wie in vielen Ländern dieser Welt lautete das Credo: zuhause bleiben. Doch in Indien sind diese Anordnungen insbesondere für rund 40 Millionen Wanderarbeiter/innen, die sich als Tagelöhner/innen ihr Brot verdienen und in einen anderen Bundesstaat als den eigenen emigriert sind, ein schwieriges Unterfangen. Zum einen wurden sie von einem Tag auf den anderen arbeitslos – ohne Reserven bedeutet dies nicht genügend Lebensmittel zur Verfügung zu haben; zum anderen konnten sie nicht mehr nach Hause fahren. Die Regierung reagiert auf die Hungernöte der Menschen mit Hilfspaketen. Um diese zu erhalten, braucht man einerseits eine staatliche Registrierung, dass man unter der Armutsgrenze lebt, andererseits bekommt man nur Unterstützung im eigenen Heimatbezirk. Daher sind migrantische Arbeiter/innen besonders von der Krise betroffen. Aus der Not heraus gingen viele hunderte Kilometer zu Fuß nach Hause, manche von ihnen verhungerten am Weg. Seit einiger Zeit werden Maßnahmen gelockert und es fahren wieder Züge, die sie nach Hause bringen. Laut Centre for Monitoring the Indian Economy waren in Indien im April insgesamt 120 Millionen Menschen arbeitslos, das sind 27,1% der Bevölkerung. Hinzu kommt die Heuschreckenplage, die manche Regionen Indiens erreichte. Die aktuelle Situation erlaubt es den Projektpartner/innen der Dreikönigsaktion nicht mehr ihre Arbeit wie bisher fortzuführen und direkt im Kontakt mit Menschen zu treten. Schulen sind, je nach Region, weiterhin geschlossen, Workshops, Schulungen und Besuche nicht möglich. Die Partnerorganisationen reagierten aber schnell auf die veränderten Umstände und leisten Corona-Soforthilfe: “Sie verteilen nun unter den vorherrschenden Schutzmaßnahmen in erster Linie Lebensmittel für notleidende Menschen”, erzählt Eva Wallensteiner, Projektreferentin der Dreikönigsaktion für Nord- und Nordostindien und fordert neue Lösungsansätze der Regierung: “Indien sollte nicht das Konzept, das jetzt in China oder Europa vielleicht fruchtet, eins zu eins umsetzen, sondern hier sehr schnell neue Wege finden. Es ist ein Land, das ständig mit Krisen zu kämpfen hat und die Menschen haben ein sehr hohes Maß an Kreativität, Flexibilität und Potenzial hier Veränderungen herbeizuführen.”

Nicaragua. Das zentralamerikanische Land Nicaragua geht im Umgang mit dem Coronavirus einen Weg, der sonst vor allem aus Brasilien bekannt ist: das Coronavirus kleinreden und aussitzen. Entgegen der Empfehlungen der WHO setzt die Regierung keine Maßnahmen und es fehlt an einer offenen und transparenten Kommunikation ihrerseits: öffentliche Schulen und Geschäfte hatten durchgehend geöffnet und Partys, Fußballspiele oder Märkte sind nach wie vor erlaubt. Vernünftige Stimmen in der Bevölkerung versuchen entgegen der Meinung des Präsidenten Ortegas die allseits bekannten Maßnahmen gegen das Virus umzusetzen – Abstand halten, zuhause bleiben. Nicaragua befindet sich allerdings nicht nur aufgrund der Coronakrise in einer heiklen Situation. “Im April 2018 kam es zu einer Demonstration von Studierenden und Jugendlichen gegen die Änderung im Pensionsversicherungssystem, die von Anhängern der Regierung brutal niedergeschlagen wurde. Daraufhin gab es mehrere Protestwellen mit Straßensperren der Zivilgesellschaft und Demonstrationen.”, erklärt Clemens Koblbauer, Projektreferent der Dreikönigsaktion für Nicaragua. Die Bevölkerung forderte Neuwahlen, den Rücktritt von Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo. Ortega lehnte diese Forderung ab, ließ die Straßensperren mit Gewalt auflösen und begann die Zivilgesellschaft zu verfolgen. Auch die Projektorganisationen der Dreikönigsaktion stehen seither unter starker Kontrolle von Seiten der Regierung. „Die Herausforderungen in Nicaragua liegen vor allem darin, dass die Zivilgesellschaft durch die sozialpolitische Krise der letzten zwei Jahre gespalten ist und dass sie sich mit sehr schwierigen Lebensbedingungen wie Ernteausfällen aufgrund des Klimawandels, Kriminalität und Armut auseinandersetzen müssen. Hinzu kommt nun die Coronakrise, die eine Regierung benötigen würde, die sich für die Bevölkerung einsetzt.“ so Clemens Koblbauer.

Kenia. In den Slums von Nairobi leben rund zwei Millionen Menschen auf engstem Raum ohne fließendes Wasser. Abstand halten und regelmäßig die Hände waschen ist dort unmöglich. Seit April haben viele Menschen ihre Arbeit verloren und kämpfen ums Überleben. „Die Krise zeigt deutlich, dass die Ungleichheit, die ohnehin schon groß ist, sich nochmal verschärft. So werden bereits existierende Probleme wie Korruption oder die schlechte Gesundheitsversorgung sichtbar.“, so Maria Pawelka, Projektreferentin der Dreikönigsaktion für Kenia. Die Regierung hat im März schnell ähnliche Maßnahmen wie Österreich getroffen, mit Einreisestopps und einem Lockdown. Schulen und Geschäfte wurden geschlossen, die Mobilität eingeschränkt. Für viele Tagelöhner/innen ist die Situation seither aber besonders prekär. Da die großen Märkte geschlossen haben, versuchen sie auf kleinen Marktständen Waren zu verkaufen. Die Menschen in den Slums leiden unter Hunger, es fehlt ihnen an sanitären Einrichtungen und nun auch an Arbeit. Die Maßnahmen der Regierung werden unter anderem mit Polizeigewalt durchgesetzt. Die Projektpartner/innen der Dreikönigsaktion haben aufgrund der aktuellen Situation ihre Arbeitsbereiche umgestellt und verteilen in erster Linie Nahrungsmittelpakete, Desinfektionsmittel und Masken, die sie zum Teil auch selbst herstellen. „Einige Partnerprojekte betreiben normalerweise berufsbildende Schulen mit Schneidereien. Durch die Herstellung und dem Verkauf von Masken können sie zumindest das Einkommen für ein paar Menschen sichern.“, erzählt Maria Pawelka.

Die Coronakrise zeigt deutlich die ungleichen Voraussetzungen in der Welt. Während es in Europa im Schnitt 4000 Intensiv-Betten pro eine Million Einwohner gibt, gibt es für die gleiche Zahl Menschen in Afrika fünf. In vielen Ländern des globalen Südens folgt auf den Kampf gegen die Corona-Pandemie ein neuer, alter Kampf: der gegen den Hunger und die ungleichen Voraussetzungen in der Welt. Dabei kann auch Österreich seinen Beitrag leisten.

Helfen Sie den von der Corona-Krise betroffenen Menschen und unterstützen Sie unsere Partnerorganisationen mit Ihrer Spende.

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